Geschichte und Entstehung der Violine

Vorwort:

„Die Entstehung der Violinenfamilie ist dunkel, und nur durch Vermutungen, Analogien und Folgerungen können wir vorankommen, den Weg des Instruments zu verfolgen.“ Dieser Satz Kathleen Schlesinger aus dem Buch „ The Percusors of the violin family“ (Die Vorläufer der Violinenfamilie, 1910) hat heute noch in vollem Umfang Geltung. Dabei ist es nicht etwa so, dass die Forschung dieses Gebiet vernachlässigt hat. In Heron-Allens „De Fidiculis Bibliographie“, die schon 1890/94 erschien, sind über 1300 Arbeiten aufgeführt, von denen sich die überwiegende Zahl teils ausführlich, teils am Rande mit der Geschichte des Instruments beschäftigt, und seit dem Erscheinen dieser Literaturübersicht ist die Zahl der einschlägigen Werke bis ins fast Unüberschaubare angewachsen.

Will man in dieser so umfangreichen Materie, deren Einzelheiten bis in unsere Zeit oft recht kritiklos nachgeschrieben wurden und werden, einigermaßen klar sehen, ist es notwendig, eine Gliederung vorzunehmen, und zwar in die Vorgeschichte, die Frühgeschichte, die eigentliche Geschichte der Violine.

Die Vorgeschichte umfasst die Zeit von der ersten Verwendung von Instrumenten, die einzelne Merkmale der späteren Violine zeigen, bis etwa in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die Frühgeschichte beginnt mit der Periode, in der die Entwicklung zur Violine hin eingesetzt haben muss, das ist wohl die Mitte des 15. Jahrhunderts. Sie reicht bis 1500, genauer, bis zu dem Augenblick, in dem als Glied einer Versuchskette einmal das Instrument da war, das man – mit äußerster Vorsicht – als die erste Violine ansprechen darf, hier setzt dann die eigentliche Geschichte ein.

Die hier gegebenen zeitlichen Grenzen sind zunächst nur ein Hilfsmittel der Gliederung; es wird sich im laufe der Untersuchung herausstellen, inwieweit sie Gültigkeit beanspruchen dürfen.

Vorgeschichte:

Bezieht man in die Vorgeschichte der Violine alle Instrumente mit ein, die irgendeins ihrer Wesensmerkmale zeigen oder gezeigt haben, so müsste sie bei jenem Urmenschen beginnen, dem das vielleicht zufällige Zupfen eines Jagdbogens als Klangerlebnis bewusst wurde. Im engeren Sinne, setzt die Vorgeschichte aber erst mit der Erfindung des Streichbogens ein. Recht naiv mutet heute an, was Leopold Mozart (1756) zu sagen wusste: „ Die Violine ist von Orpheus, dem Sohne Apollo, erfunden worden; und die Dichterin Sappho hat den mit Pferdehaaren bespannten Bogen erdacht, und war die erste, welche nach heutiger Art gegeigt hat.“
Und noch in der Allgemeinen Enzyklopädie der Musik „ Die Musik in Geschichte und Gegenwart“ kann man (I/211) lesen: „ Im 1. Buch Mose wird von Jubal als dem Stammvater der Geiger und Pfeifer berichtet (etwa 2000 v. Chr.).“ Der Autor Werner Lottermoser ist hier völlig unkritisch das Opfer einer unkritischen Übersetzung geworden, die auf Luther zurückgeht. Leopold Mozart hat übrigens wörtlich aus dem Buche „Il Musico Testore“ übersetzt, das P. Zacharias Teve 1704 in Venedig erscheinen ließ.

Die Ansicht, dass die „Alten“, das sind die Griechen und Römer, Streichinstrumente gespielt haben, entstand in der Renaissancezeit, als bildende Künstler, denen es nicht im geringsten um historische Wirklichkeit ging, antike Götter mit Instrumenten aus ihrer eigenen Umgebung darstellten. Eines der berühmtesten dieser Kunstwerke ist der Orfeo (auch Apollo oder Amfione genannt) des Bildhauers Bertoldo (ca. 1420-1491), der dargestellte Gott streicht eine Art Fidel. Noch im 18. Jahrhundert kam man durch die Untersuchung von Gemsage (Origin and Introducing of the violin, London 1757) und Le Prince le Jeune (Observations sur l´Origine du violin, Paris 1782) der Wahrheit schon wesentlich näher, man erkannte, dass der Streichbogen erst im Mittelalter entstanden sein könnte.
Grundsätzlich gilt für die frühmittelalterliche Instrumentenentwicklung in Europa, dass alle Instrumente, die vom 12. Jahrhundert an gestrichen wurden, ursprünglich Zupfinstrumente waren, manche von ihnen aber auch noch weiterhin gezupft wurden. In Gottfried von Straßburg „Tristan und Isolde“, geschrieben um 1210, kommen z.B. lire1 und rotte2 sowohl als Zupf- wie als Streichinstrument vor. In Spanien waren Fideltypen noch lange je nach Gebrauch durch die Bezeichnungen vihuela a mano und vihuela a arco (Hand[= Zupf]fidel, Streichfidel) unterschieden.

Erst das Buch Werner Bachmanns (Die Anfänge des Streichinstrumentenspiels) brachte eine gewisse Klärung. Er hat das bisher vorgelegte Material überprüft und z.B. auch für die Fiedel nachgewiesen, dass sie ursprünglich gezupft wurde. Der Name bedeutete im frühen Mittelalter nur ein Saiteninstrument, wobei eine spezifische Klangerzeugung für die Nomenklatur noch in keiner Weise bestimmt war. Das Wort fidula in früheren Sprachdenkmälern bezeichnet also noch kein Streichinstrument!
Im Laufe der für die Bogengeschichte so entscheidenden Jahrhunderte ist für viele musikalische Termini mit einem so starken Bedeutungswandel zu rechnen, dass eine bestimmte Bezeichnung für ein Instrument, ja selbst für eine Spielweise, für sich allein genommen eine recht geringe Aussagekraft hat, sofern nicht aus dem Zusammenhang mit Sicherheit erschlossen werden kann, welche Klangerzeugung sich damit verbindet. So hat eine eingehende Überprüfung ergeben, dass die drei Sanskritwörter kona, sarika und parivada, die wahrscheinlich den Streichbogen bezeichnen, erst seit dem 7. Jahrhundert n. Chr. Vorkommen, dass aber z.B. kona bis ins 12. Jahrhundert auch Schlagstab, Plektron und Trommelstock bedeutete.

Nach dem derzeitigen Stand der Forschung (Bachmann) ist der Streichbogen in Zentralasien, im Gebiet südöstlich des Aralsees entstanden. Dort hatten sich insbesondere im Stromgebiet des Oxus (Amu-Darja) im frühen Mittelalter kleine Staaten von wirtschaftlichem Wohlstand und einer sehr hohen eigenständigen Kultur gebildet. Der Wohlstand wurde im 8. Jahrhundert bei der Eroberung durch die Araber weitgehend vernichtet, die Kultur durch Fremdeinflüsse stark überdeckt, ihre Dokumente gingen zum Großteil verloren. Im Bereich dieser Völker, die wegen ihrer Musikpflege bekannt und geschätzt waren, wurde sicheren Quellen nach schon im 9. Jahrhundert n. Chr. Ein mit Rosshaar bespannter Bogen verwendet, der sich mit ziemlicher Sicherheit aus dem älteren Reibstab entwickelt hat.

 

Entstehung der Violine:

In Europa sind gestrichene Instrumente erst seit dem Mittelalter bekannt. Dieses Instrument war die Fiedel der Minnesänger. Mit einer Geige hatte sie noch nicht viel Ähnlichkeit. Erst im 15. Jahrhundert entwickelte sich daraus langsam die Gamben- und Violenfamilie. Mit der Renaissance, die auf alle Künste einen sehr großen Einfluss hatte, erhielt auch der Instrumentenbau neue Impulse. Die Geige in ihrer heutigen Form wurde anfangs des 16.Jahrhunderts gebaut. Nach dem gleichen Konzept entstanden auch die Bratsche und das Cello.
Diese Instrumentengruppe wurde für die damals in Italien aufkommende neue Klangvorstellung entwickelt. Nach und nach hat sie die bis dahin gebräuchlichen Gamben und Violen abgelöst.

Im Augenblick in dem die Geige „gefunden“ und gespielt wurde, ist auch ihre hauptsächliche Entwicklungsgeschichte vollendet. Wohl gab es und gibt es auch heute noch immer gewisse technische Änderungen, mit denen man heutige Klangvorstellungen erreichen will, Grundriss und Grundform des Instrumentes ändern sich aber nicht mehr.
In Italien, das vom Dreißigjährigen Krieg verschont blieb, erlebte der Geigenbau einen gewaltigen Aufschwung. Von 1535 – 1611 lebte in Cremona Andrea Amati. Dieser wurde zum Begründer der berühmtesten Geigenbauschule der Welt. So gibt es zum Beispiel die die Brescianer-Schule, die Cremoneser-Schule, die Mailänder-Schule, die Neapoletaner-Schule und viele mehr.

In der Folge verbreitete sich der Geigenbau schnell in ganz Europa. Allein Cremona blieb es vorbehalten, die größten Meister des Geigenbaus hervorzubringen. Die berühmtesten Geigenbauer der Welt stammten alle aus Cremona. So zum Beispiel: die Familien Amati und Guarneri, Antonio Stradivari, die Familien Rugeri und Bergonzi. Stradivari- und Guarneri-Violinen sind seit mehr als 150 Jahren die begehrtesten Konzertinstrumente.

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